Über kleine und große Reisen

Manche Geschichten überfallen einen unverhofft aus einem einzigen Gedanken heraus und wollen sofort niedergeschrieben werden. Andere lauern irgendwo im Hinterkopf, oft jahrelang, umkreisen den hungrigen Autor und lassen sich von ihm umkreisen, sie begleiten ihn auf stürmische Weise, um kurz darauf allein weiterzuziehen und vielleicht irgendwann zurückzukommen. Zur Art der letzteren gehört die “imaginäre Reise”, die mich schon seit sechs Jahren begleitet.

 Entstanden ist sie wie wohl viele Erstlingswerke aus dem großen Vorsatz heraus: Ich schreibe eine Geschichte, da geht’s um jemanden, und das wird ganz spannend und es gibt viele Abenteuer und so. Und das war das Ende des großartigen Plans. Entsprechend wurden einige Seiten mit wenig Inhalt befüllt, und dann verging die Lust daran. Aber eine Szene, die zu mehr hätte führen sollen, war doch zu hartnäckig, um völlig in Vergessenheit zu geraten: Die junge Heldin verkriecht sich in einer leerstehenden Krypta und bekämpft ihre Ängstlichkeit, indem sie einen dort herumliegenden Schädel beschimpft.

Jahre später, sowohl in der realen als auch in der Welt der imaginären Reise, treffen wir die beiden wieder. Die junge Heldin hat mittlerweile an Selbstbewusstsein gewonnen, der Schädel, den sie mitgenommen hatte, an Leben. Und mit diesen Eigenschaften kämpfen die zwei um ihr Dasein in schriftlicher Form. Was als kurze Hommage an den Beginn der eigenen Schreibarbeit gedacht war, verselbständigt sich immer mehr und wächst und gedeiht.

Als reine Fantasy-Autorin habe ich mich eigentlich nie gesehen, aber die beiden wollen in ihrer ganz eigenen Welt bleiben. Ohne viel Horror, dafür mit Hinweisen auf die eigene, heimische Mythologie. Sie haben sogar ihren eigenen Stil mitgebracht – die Geschichte baut fast ausschließlich auf den Dialogen der beiden auf, doch die zwei haben viel zu viel zu sagen, um das Ganze langweilig erscheinen zu lassen.

Also, wer sich fragt, warum sich derzeit nur Kurzkurzgeschichten gegen die imaginäre Reise durchsetzen können, möge sich bitte an die beiden dort wenden – sie sind einfach zu aufdringlich, um links liegen gelassen zu werden.

Auf ein baldiges Lesen!