Über das Eigenleben der Sprache

Sprache lebt. Sie wächst und wandelt sich, manchmal stirbt sie auch. Als Schreiberling lebt man von der Sprache, oft genug kämpft man auch gegen sie. Und weil ich so ein neugieriger Mensch bin, gibt es heute einen kleinen Exkurs in die Welt der Linguistik.

Weltweit gibt es geschätzt 7000 Sprachen, 96% davon werden von gerade einmal 4% der Weltbevölkerung gesprochen und nur etwa ein Drittel aller Sprachen besitzt auch eine Schrift. Deutsch liegt mit 100 Millionen Sprechern übrigens an Platz 10 der meistgesprochensten Sprachen, Spitzenreiter ist Chinesisch mit 1200 Millionen. Ganz knapp dahinter auf Platz 2: Englisch mit 320 Millionen. Knapp daneben ist auch vorbei.

Apropos: viele unserer Redewendungen und Gesten stammen ja aus dem Mittelalter, ob jetzt das höfliche Händeschütteln, das Unter-die-Haube-Kommen oder das euphemistische Den-Buckel-Runterrutschen. Insgesamt ist unsere Sprache aber Teil eines viel älteren Erbguts: Wir in Europa sind alle Urururur-(und noch ein paar)Enkel des Indogermanischen Sprachstamms (hier im Bildchen grün dargestellt). Ein paar Beispiele aus dem Altindischen: mātár- wird zu mother bzw. Mutter, bhrātr- zu brother/Bruder.  Und trotzdem können wir oft nicht einmal unseren Nachbarn verstehen.

So lange sich diese Wörter auch schon bei uns gehalten haben, andere sind offiziell für mausetot erklärt worden. Das schöne Wort “beleibzüchtigen” beispielsweise ist 1926 aus dem Rechtschreibduden verschwunden und hat übrigens nichts mit Sadomaso zu tun, sondern bedeutet, jemandem mit einem lebenslangen Unterhalt zu versehen. Zum Nachlesen der verstorbenen Wörter gibt es vom Duden auch den schönen Wortfriedhof, auf dem einem so manches aber noch bekannt vorkommen sollte. Das Ehebrechen (ernsthaft zu finden auf Seite 18) dürfte zumindest im praktischen Verständnis noch nicht ausgestorben sein.

Noch kurz zum Thema Worte: Die häufigsten in Romanen gebrauchten Exemplare sind in absteigender Reihenfolge Mann, Frau, Hand, Auge, Tag. Was einem das wohl sagen soll?

Von der Sprache als Gesamtheit zu den kleinsten Vertretern: den Buchstaben. Laut Alphabet nutzen wir im Deutschen 26 Buchstaben, dazu kommen noch drei Umlaute. Da fängt das Ganze aber auch schon an zu happern, den gesprochen gibt es weit mehr Vokale als die kümmerlichen acht des Alphabets. Wie viele genau es in der deutschen Sprache sind, ist sich niemand einig, aber zählt man die Dialekte mit, sind es mehrere Dutzend. Na da kann man schon mal seine Zunge trainieren!

Anders als im Deutschen genügen vielen anderen Sprachen auch schon einzelne Buchstaben für ein Wort. Oder einen Namen. In Schweden, Dänemark und Norwegen gibt es die schönen Ortschaften mit Namen Å. Teilen sich übrigens den kürzesten Ortsnamen mit dem französischen Y. Am anderen Ende der Kette steht mit 58 Buchstaben das walisische Dorf Llanfairpwllgwyngyllgogerychwyrndrobwllllantysiliogogogoch. Ihr wisst nicht, wie man das ausspricht? Ich auch nicht.

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang aber das Verhältnis zwischen der Sprechfreudigkeit eines Volkes und der Grammatik, die sie aufbaut. Hier eine rein subjektive Beobachtung: Je weniger ein Mensch reden will, umso mehr Grammatik lässt er sich einfallen, um mit möglichst wenig möglichst viel sagen zu können. So kommt es, dass man in manchen Sprachen einen ganzen Satz in ein einziges Wort stecken kann. Sind zwar dann nicht mehr die kürzesten, aber der Mensch ist schließlich nicht perfekt. Ein Grund mehr für manche, sich das Reden zu verkneifen und gegebenenfalls auf Brummlaute zurückzugreifen.

Und weil die beste Methode, um einen Menschen kennenzulernen, seine Sprache zu verstehen ist, findet ihr hier noch einen kleinen Tipp zum Thema Sprachenlernen.

Ciao, ed a presto!