Schreiben & Lektorieren – Teil 1: Charaktere

Schreiben ist ein beständiger Lernprozess. Mit jeder Geschichte, die man beginnt, und mit jeder, die man zu Ende schreibt, verbessert sich das Verständnis für Text. Auch das bewusste Lesen von guten und weniger guten Büchern schärft die eigene Wahrnehmung. Was spricht mich selbst als Leser an, wann lege ich ein Buch beiseite – und warum kann ich bei anderen gar nicht aufhören? All dieses Wissen sollte man natürlich in seine kommenden Werke einfließen lassen.

Sich selbst zu lektorieren ist nicht leicht – ein paar findige Testleser helfen hier ungemein – aber wer im Selbstverlag veröffentlicht, scheut oft die Kosten für ein professionelles Lektorat. Auch wenn man sein Manuskript an einen Verlag oder an einen Lektor schicken will, schadet es nie, es bereits in eine möglichst gute Form zu bringen. Je stimmiger und fehlerfreier ein Text ist, desto günstiger wird das Lektorat und desto eher liest ein Verlag die eingesandte Textprobe bis zum Schluss.

In den vergangenen Monaten habe ich mich sehr ausgiebig mit dem Korrigieren eigener und fremder Texte befasst. Deshalb möchte ich euch hier einen kleinen Einblick geben in die Dinge, auf die man beim Schreiben und Überarbeiten achten sollte.

 

Teil 1: Charaktere

Obwohl Charaktere oft erst mitten in der Geschichte eingeführt und entwickelt werden, sind sie für mich ein tragender Faktor. Ich jedenfalls entwickle gerne meinen Plot, indem ich einfach meine Figuren aufeinander loslasse – “X macht Y. Wie reagiert Z darauf, und was bedeutet das für X?” Außerdem kann ein starker Charakter eine mittelmäßige Geschichte allein durch sein Auftreten beleben – eine unglaubwürdige Figur dagegen wird auch den besten Plot zunichte machen. Was also macht eine gute Figur aus?

Eigenschaften

Wie sieht euer Charakter aus, wie kleidet er sich? Welche Herkunft hat er, was tut er jetzt? Mag er, was er tut? Ist er groß, dick, hübsch, unordentlich, cholerisch? Oft ergeben sich aus diesen Informationen bereits logische Schwächen, denn niemand ist perfekt. Somit machen schlechte Eigenschaften eure Figur menschlicher und glaubwürdiger. Ist ihm beispielsweise immer alles in den Schoß gefallen und ist er deshalb arrogant? Hatte er zwölf Geschwister und weiß sich deshalb durchzusetzen?

Je mehr ihr bereits zu Beginn über euren Charakter wisst, desto besser könnt ihr im Leser ein Verständnis für ihn schüren. Dabei gilt natürlich wie überall: Show, don’t tell. Zeigt, wie euer Charakter die Welt sieht, wie andere auf ihn reagieren. “Franz war gerne Bäcker.” ist weniger spannend und verrät weniger als: “Franz war kein Morgenmensch, aber jedes Mal, wenn aus dem Ofen der erste Duft von Brot drang, legte sich ein Lächeln auf sein mehlbestaubtes Gesicht.” 

Motivation

Wie jeder Mensch haben auch erfundene Figuren Wünsche, Hoffnungen, Ängste und Ziele in ihrem Leben. Und zwar schon, bevor der Bösewicht in ihr Leben tritt und das Abenteuer beginnt. Die wenigsten von uns beschäftigen sich den lieben langen Tag in Gedanken damit, die Welt zu retten. Da sind andere Dinge vordergründig. Eine Prüfung, für die man zu wenig gelernt hat. Der süße Kollege, den man sich nicht anzusprechen traut. Die Ratenzahlung, die man abschicken muss … Es liegt natürlich an euch, wie sehr ihr euren Charakter im Laufe der Geschichte aus der Bahn werft – ob diese anfänglichen Ziele noch bestehen bleiben, unwichtig werden oder sich sogar ins Gegenteil kehren. Wichtig nur, dass ihr daran denkt, dass eure Figuren kein unbeschriebenes Blatt sind. Sie haben ein Leben, das bereits außerhalb eurer Geschichte begonnen hat.

Sobald die Geschichte dann losgeht, kommen andere Motivationen hinzu. Weshalb ist der Bösewicht so darauf versessen, den Helden zu töten? Warum gibt der Held sein bisheriges Leben auf, um gegen den Bösewicht in den Kampf zu ziehen? “Weil er böse/gut ist” gilt ebenso wenig als Begründung wie “Weil es in der Handlung steht”. Eine der größten menschlichen Schwächen ist der Gedanke “Es wird schon jemand anders machen.” Es braucht daher einen triftigen Grund, um die Charaktere so handeln zu lassen, wie der Plot es vorsieht.

Prinzipiell muss es für jede bewusste Entscheidung eines Charakters, egal wie klein sie ist, eine Motivation geben, die dem Leser verständlich gemacht wird. Ob man jetzt aufbricht, um die Welt zu retten, oder auf dem Heimweg eine andere Route nimmt als sonst – man hat immer einen Grund, um sich dafür zu entscheiden. Alles was unwillkürlich geschieht sollte dagegen in den Eigenschaften erklärt werden. Dass man einen Nervenzusammenbruch beim Anblick einer fetten Spinne erleidet, wird beispielsweise niemand beabsichtigen, ob Held oder Bösewicht. Aber einen Grund gibt es trotzdem. 

Kontinuität

Bei Hauptfiguren ist es wichtig, dass sie im Laufe der Geschichte eine Entwicklung durchmachen. Der Held muss an seine Grenzen gehen, sie überwinden und aus seinen Erfahrungen lernen. Diese Veränderung ist gut, solange sie glaubhaft und nachvollziehbar ist. Nicht so gut ist, wenn Figuren einmal Links- und einmal Rechtshänder sind, ihre Augenfarbe wechseln (außer natürlich das ist eine ihrer besonderen Fähigkeiten) oder in jeder Hand eine Waffe haben und den Gegner trotzdem bei der Gurgel packen.

Um während des Schreibens den Überblick nicht zu verlieren ist es hilfreich, sich Listen mit den Eigenschaften und Motivationen der Figuren zu machen. Papyrus bietet beispielsweise eine Funktion für Figurendatenbanken, aber ihr könnt euch eure Notizen natürlich auch ganz altmodisch auf Zettel oder einem Whiteboard machen. Hauptsache ihr findet, was ihr sucht.

Kontinuität ist übrigens nicht nur bei Charakteren wichtig. Geografie, Magie, physikalische Gesetzte … Jede Regel, die ihr in eurer erschaffenen Welt aufstellt, müsst ihr einhalten. Sei es, dass die Welt von zwei Sonnen beschienen wird, dass Insekten ausgestorben sind oder dass der Fluss, der durch eure Stadt fließt, eine reißende Strömung besitzt. Und jede Regel hat Auswirkungen. So wird es bei zwei Sonnen vielleicht niemals Nacht, ohne Insekten gibt es keine Vögel und Probleme mit der Lebensmittelversorgung, und wer in den reißenden Fluss fällt, wird keine gemütliche Schwimmrunde einlegen. Diese Auswirkungen zu kennen und einfließen zu lassen ist Teil der gezeigten Kontinuität.

Namensgebung

Namen helfen euren Lesern, eure Figuren kennenzulernen, einzuordnen und wiederzuerkennen. Je leserfreundlicher und unterschiedlicher die Namen eurer Charaktere sind, desto besser findet sich der Leser in eurer Welt zurecht. Wenn ihr einen Charakter habt, der Mmmblllmmrrrr heißt, ist der Name recht eindeutig und einprägsam, solange es “der mit dem komischen Namen” ist und er nicht seine Verwandten Mmbbbmmmlllrr und Mmmlllrrrbbmm mitbringt.

Wenn ihr euch nicht in Wiederholungen ertränken wollt, sind ein paar Synonyme pro wichtigem Charakter durchaus ratsam. Aber auch hier sollten sie eindeutig sein, und pro Figur solltet ihr euch auf zwei bis drei Varianten beschränken. Bei Flammen des Sommers beispielsweise bezeichne ich Lrartsnjok abgesehen von seinem Namen noch als Drachen (wenn er der einzige ist, der vorkommt) oder Drachenjunges/Drachenkind (je nachdem, wie menschlich ich ihn in der jeweiligen Situation machen möchte). Denn:

Nomen est omen. Natürlich müsst ihr euch nicht für jeden Charakter einen bedeutungsschwangeren Namen ausdenken, aber ein Name sagt viel über euren Charakter aus. Ihr könnt ihm zum Beispiel eine Herkunft oder einen Stammbaum zuweisen. Mit der Verwendung der Namensvarianten könnt ihr auch gleich Aufschluss über das Verhältnis geben, das zwischen euren Protagonisten herrscht. So kann unser Bäckermeister Franz beispielsweise von seiner Familie als “Franz” gesehen werden, von seinen Lehrlingen als “Meister”, während er für seine Kunden natürlich “der Bäcker” ist.

Lebendigkeit

Jetzt, da ihr euren Charakter vor Augen habt, müsst ihr nur noch dafür sorgen, dass auch der Leser ihn versteht. Hauchen wir ihm also ein wenig Leben ein.

Damit der Leser mit eurer Figur mitfiebern kann, solltet ihr euch schon beim Schreiben in den Charakter hineinfühlen. Wenn seine Gedanken, Gefühle und Handlungen nur auf den Seiten landen, weil man sie in dieser Art schon mal gelesen hat oder es im Plot so vorgesehen ist, wirken sie unglaubwürdig. Wenn der Protagonist sich den Zeh anstößt, muss erst der Autor wissen, wie sich dieser Schmerz anfühlt, um die Erinnerung daran im Leser zu wecken. Menschenverstand und eigene Erfahrungen sind hier eine große Hilfe.

Umso schwieriger ist das Schreiben von Situationen, die man selbst noch nicht erlebt hat und der Leser vermutlich ebenso wenig. Zum Glück ist der Mensch ein fantasiebegabtes Wesen und kann sich vieles vorstellen – solange es anschaulich beschrieben wird. Je besser sich der Schreiberling in die Haut seiner Charaktere versetzen kann, desto leichter und besser identifiziert sich auch der Leser mit den Figuren. Und auch hier heißt es wieder: Show, don’t tell. 

Tipps zum Schluss

Viele Leute tun sich schwer, mit ihren eigenen Charakteren warm zu werden. Deshalb abschließend noch ein paar Tipps, um euch den Anfang zu erleichtern:

Man muss nicht das Rad neu erfinden. Jeder Autor lässt seine eigenen Erfahrungen und Erlebnisse in seine Texte einfließen. Auch bei Charakteren geht das. Nehmt euch Menschen aus eurem Umfeld als Vorbilder. Nicht als maßgenaue Schablone, sondern als Inspiration. Die Weltanschauung von Nachbar A und die liebenswürdige Art von Freund B ergeben Charakter C. So habt ihr einen Anhaltspunkt, wenn ihr die Reaktion eures Charakters abschätzen wollt – ihr müsst nur an eure Vorlage denken.

Sprecht mit eurem Charakter. Mittlerweile habe ich von einigen Autoren gehört, dass sie sich gemütlich in ihren Lesesessel hocken und ein tiefes Gespräch mit ihren Hauptfiguren beginnen, um sie kennenzulernen. Ich persönlich denke mich lieber in die Charaktere und Figuren hinein und erlebe die Handlung aus ihrer Perspektive, um zu wissen, was sie tun möchten. Sicherlich gibt es dafür unzählige Techniken, und jeder verwendet letztlich seine eigene Variante davon. Probiert es einfach aus!

So, das war’s zu den Charakteren. Nächste Woche geht es weiter mit Tipps zu Plot und Setting!